Südengland – Teil 1: Dover – Canterbury – Hastings – Rye – Brighton

England hat mich schon immer irgendwie bewegt. Es gibt kaum ein Land welches eine derart kontroverse Faszination auf mich ausübt. Vieles scheint mir dort so cool wie nirgend sonst, anderes zugleich wieder komplett spießig und dekadent. Auf der einen Seite ist England die Wiege der Pop- und Rockmusik, vieler wichtiger Sportarten wie Fußball oder Tennis, hat großen Anteil an der Entwicklung der westlichen Kultur wie wir sie heute kennen, verfügt über einen riesigen Schatz an feiner Traditionen über alle Lebensbereiche hinweg, eine schroffe einzigartige Landschaft, und so vieles mehr. Auf der anderen Seite denke ich an Turbokapitalismus, Kolonialismus, Klassendenken, schlechte Lebensmittelqualität, … und nicht zuletzt den Brexit. Aber sind das alles nicht hauptsächlich aus der Ferne betrachtete Klischees? Nun, in unserer dreiwöchigen Reise durch Südengland werden wir das auch nicht wissenschaftlich aufarbeiten können, aber wir freuen uns auf Begegnungen mit Menschen, der Kultur und der Natur. Vielleicht entdecken wir dabei ja auch einzelne Puzzleteile, die unser Bild von England etwas vervollständigen oder auch zurechtrücken.

Nach zwei Reisetagen von Thalheim/Wels durch Deutschland, Niederlande und Belgien, erreichen wir Calais an der nord-französischen Westküste um mit der Fähre nach Dover überzusetzen.

Sehr angenehm: Die Fähre zwischen Calais und Dover muss nicht vorausgebucht werden, es findet sich immer ein Platz. Natürlich ist das etwas teurer, aber der Freiheitsgewinn ist groß. Warum wir es nicht so schätzen, wenn Fährplätze über zwei Monate im vorhinein reserviert werden müssen, erfahrt ihr auch in unserem Beitrag zu Korsika.

Bei unserer Art zu Reisen beginnt das Abenteuer „on tour“ ab der ersten Minute. Auch wenn es abgenutzt klingt: Der Weg ist oftmals tatsächlich das Ziel. Trotzdem gibt es immer auch den einen Moment an dem wir spüren: „jetzt sind wir angekommen!“. Spätestens beim Anblick der „White Cliffs“ wissen wir, dieser Moment ist gleich da.

In Dover angekommen …

Dover Castle

… und zum ersten Mal auf dieser Reise in einem Pub bei „Fish an Chips“ und einem herrlichen „Stout“ sitzend, ist es dann soweit: „Yes, Engeland, here we are!!“

Unsere ersten Tage und Nächte auf englischem Boden verbringen wir in Kingsdown am gleichnamigen „International Camping“. Hier ahnen wir zum ersten Mal, was sich später viele Male bestätigen wird, bei der Frage „wie geht Camping?“ sind wir uns mit den Briten ziemlich einig: Einfache, aber großteils saubere Infrastruktur und viel Platz an einem tollen Naturschauplatz. Das Freiheitsgefühl ist hier überall sehr hoch. Das gibt schon einmal ein ordentliches „thumbs up!“.

Wer braucht schon aufwendiges Entertainment, wenn genug Platz ist um sich mit den Kindern auszutoben?

Die See ist hier sehr rau und lädt nicht unbedingt zum Baden ein, dafür aber zu ausgedehnten Küstenspaziergängen und vor allem zum „Steine sammeln“!

Das lauschige Dorfzentrum Kingsdown ist nur wenige Gehminuten von der Campingwiese entfernt. Hier kaufen wir bei einem Metzger regionale Produkte und so gibt es am nächsten Tag Beiried „von der „Nachbarwiese“.

Am Abend geht es dann in das örtliche Pub zum Public Viewing. Es ist gerade Fußball WM und England spielt im Achtelfinale gegen Kolumbien. Ein unglaublich emotionelles Erlebnis. Wir haben das in unserem Film zur Reise entsprechend dokumentiert.

Nach zwei wunderbar entspannten Tagen geht es weiter in Richtung Westen, davor besuchen wir aber noch Canterbury. Wir starten mit einem typischen „English Breakfast“ im „Cafe Saffron“ und schlendern dann gemütlich durch die Altstadt. Da ist touristisch natürlich schon einiges los, aber den Flair historischer Bedeutung hat sie sich trotzdem erhalten.

Nun geht es aber weiter Richtung „Hastings“ durch den „High Weald„. Die Beschreibung „Area of Outstanding Beauty“ ist keine Übertreibung. Allerdings, Fotos von der Fahrt können wir euch keine liefern, denn typisch für Südengland ist auch der meterhohe Heckenbewuchs an den Straßenrändern. Das heißt Blicke auf die wunderschöne Landschaft werden immer nur für Sekundenbruchteile frei. Ausreichend um diese selbst zu genießen, aber zu kurz um Fotos davon zu machen.

einer der seltenen freien Blicke auf die Landschaft

Dafür können wir sehr schnell ein weiteres Klischee relativieren: Die durchschnittliche Lebensmittelqualität in den Supermärkten kann zwar tatsächlich bei weitem nicht mit jener in Österreich mithalten. Allerdings gibt es an den Straßen immer wieder kleine Farm Shops, deren Ware ist zwar auch kaum ökologisch-nachhaltig, aber immerhin ist sie tatsächlich regional und schmeckt.

Und auch die nächste Erkenntnis wird sich in den nächsten Wochen verfestigen: Den typischen, märchenhaften und perfekt getrimmten „Englischen Garten“ gibt es in England eher selten. Er dürfte der Oberschicht mit Personal vorbehalten sein. Durchschnittlich sind die Gärten von Einfamilienhäusern oder den hier sehr häufigen Reihenhäusern eher wild bis verwahrlost. Wobei „wild“ uns ja ohnehin am besten gefällt. Also doch wieder Daumen hoch!

Ausnahmen wie hier bestätigen die Regel.

Hastings wirkt auf uns etwas abgelebt und heruntergekommen, allerdings setzen wir uns mit der Stadt auch nicht näher auseinander, der Eindruck ensteht daher zugegeben nur oberflächlich beim Durchfahren.

Typische Arbeiter-Reihenhäuser am Stadtrand in der Nähe des „Hasting Touring Parks“.

Im „Hastings Touring Park“ finden wir wieder mehr als ausreichend Platz in der Natur, „facilities“ wie Dusche und WC sind allerdings auf Substandard-Niveau und wenig gepflegt, aber was soll’s – Rock ’n‘ Roll!! Wir befinden uns ohnehin nur auf der Durchreise.

Das typisch englische Frühstück beherrschen wir mittlerweile auch selbst, selbstverständlich trinken wir standesgemäß ausschließlich „Black Tea“ mit einem Schuss Milch!

So können wir uns frisch gestärkt auf unsere nächste Etappe begeben, welche uns über Rye und Brighton an einen für uns eher untypischen Camping-Platz in der Nähe von Portsmouth führen wird. Aber dazu später mehr. Zunächst geht es in die malerische Kleinstadt „Rye“.

Diese besuchen wir nicht nur aus touristischem Antrieb. Jasmin hat hier einen Termin im „Merchant & Mills“ um mögliche Stoffe für ihr geplantes Mode-Label zu begutachten. Mehr darüber erfahrt ihr in Kürze auf ihrem Blog „nahrisch“.

Auch wenn es hier sicherlich sehr kommerziell ist, den berühmten Urlaubsort „Brighton“ müssen wir doch einen Besuch abstatten. Eine Zugstunde südlich der Hauptstadt gelegen ist es das Sommerfrische-Ziel der Londoner. Das spürt man auch beim Lifestyle. Brighton ist bekannt für sein Nachtleben, die Kunstszene, Shopping und nicht zuletzt der Strandpromenade mit Vergnügungspark am Pier.

In dieser ersten Woche in England haben wir in erster Linie Orte und Städte besucht und einiges vom Lebensgefühl hier im Südosten der Insel aufgesogen. Es sind wie immer sehr persönliche Momentaufnahmen von denen wir erzählen können. Trotzdem verfestigen sich manche Eindrücke zu einem durchaus schlüssigen Bild. Spießigkeit haben wir bis jetzt nicht wirklich erlebt, im Gegenteil, vieles wirkt auf den ersten Blick etwas ungepflegt und abgerockt. Hinter den leicht morbiden und rauen Fassaden stecken aber enorm viel Herzlichkeit und selbstverständlicher Groove. Überall kommen wir sofort und mit Leichtigkeit mit Menschen ins Gespräch. Vieles hier wurzelt tief historisch und wird mit Weltoffenheit weiterentwickelt. Leben ohne Kompromiss. Eigentlich genau das, was für mich auch (grob verkürzt) das besondere der britischen Pop- und Rockmusik ausmacht, das kommt wahrscheinlich nicht von ungefähr.

Doch dann tauchen wir doch noch, eher zufällig, in ein etwas anderes Lebensgefühl ein. Wir „verirren“ uns auf einen noblen Campingplatz in der Nähe von Portsmouth. Der Name ist Programm: „Concierge Camping“. Hier glampt ganz offensichtlich die obere Mittelschicht. Die top getrimmte Anlage bietet neben 5-Star-Facilities und Plätzen mit E-Ladestation auch einen feinen Bio-Lebensmittel-Shop. Zum ersten Mal seit wir auf der Insel sind, erleben wir einen Campingplatz der in Parzellen eingeteilt ist, auf einer jeden parkt (mindestens) eine Luxus-Karosse und die jeweiligen Bewohner bleiben schön unter sich. Dafür werden regelmäßig die Fahrzeuge poliert. Endlich, ein Hauch vom berühmten englischen High-Class-Biedermeier! 😜

Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Der Platz an sich ist wirklich schön gemacht und auch komplett ökologisch-nachhaltig geführt. Der Besitzer ist sehr engagiert und zuvorkommend. Als wir ankommen, ist eigentlich kein Platz mehr für uns frei. Als er sieht dass wir mit unseren beiden Jungs zu Viert mit dem VW Bus durch England touren, meint er nur „so cool!“ und lässt uns auf einer Grünfläche stehen.

Den Jungs hat ein bisschen Luxus (vor allem bei den Dusch-Anlagen) zur Abwechslung einmal gut gefallen. Und ja, ein wenig empfinde ich hier auch den eigenen Bobo-Style mit aufgedeckt, denn eigentlich kann uns selbst fast nichts öko-nachhaltig-hochwertig genug sein. 🙈 Aus der Außensicht sieht das dann oft etwas versnobt aus.

Trotzdem bevorzugen wir weiterhin die naturnahen und einfachen Campsites mit ihren offenen und herzlichen „Bewohnern“, davon kann ich euch in Teil zwei unserer Süd-England-Story noch einiges berichten, denn es geht Richtung Cornwall und Lands End. Dort erwarten uns traumhafte Dörfer und viel schroffe Natur.

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